Italien: Entstehung des Faschismus

Italien: Entstehung des Faschismus
Italien: Entstehung des Faschismus
 
Italien war nach erheblichen Versprechungen auf territoriale Gewinne und finanzielle Vorteile 1915 aufseiten der Alliierten in den Krieg eingetreten und gehörte 1918 zu den Siegermächten. Der Preis bestand allerdings im wirtschaftlichen und finanziellen Ruin Italiens, dem nur als äußerst unzureichend erachtete Gewinne in der Friedensregelung von 1919 gegenüberstanden. Die nationalistische Rechte mobilisierte dagegen einen massenhaft organisierten Protest. Der bekannte Dichter Gabriele D'Annunzio sprach von einem »verstümmelten Sieg« und traf damit genau die Stimmung seiner Zeitgenossen. Nicht nur mit dieser Begriffsschöpfung erzielte er eine enorme Wirkung, sondern auch mit der von ihm geführten Aktion, in deren Verlauf er an der Spitze einer Privatarmee im September 1919 das kroatische Fiume (Rijeka) für 16 Monate besetzte und diktatorisch beherrschte. Die Stadt war von der Friedenskonferenz dem neu geschaffenen Jugoslawien zugesprochen worden, wurde aber von Italien beansprucht. D'Annunzio war ein Freund Benito Mussolinis und lieferte mit seinem Coup einen Vorgeschmack auf den Faschismus in Italien.
 
 Nachkriegskrisen und Faschismus
 
Noch brisanter waren im Italien der Nachkriegszeit die sozialen Konflikte, die aus der Verarmung der Agrargebiete in der Poebene und in Süditalien und aus der tiefen Wirtschaftskrise in den Industriegebieten mit einer hohen Zahl von Firmenzusammenbrüchen resultierten. Die politische Linke reagierte darauf mit Forderungen nach Landreform und Sozialisierung sowie mit Besetzungen von Landgütern und Fabriken. Wie in Deutschland lief auch in Italien die politische Auseinandersetzung nach dem Ersten Weltkrieg von Anfang an in gewaltsamen Formen ab. Der Krieg hatte der Gewalt in Europa zum Durchbruch verholfen. Man muss allerdings zwischen Ländern mit relativer Stabilität, in denen Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner die Ausnahme blieb, und denjenigen Ländern unterscheiden, die nach dem Krieg aufgrund politischer und sozialer Konflikte innerlich gespalten waren. In ihnen richtete sich die Gewalt jetzt, nachdem es keinen äußeren Feind mehr gab, gegen den innenpolitischen Feind. Bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen waren die Folge.
 
Vor diesem Hintergrund wurde das parlamentarische System in Italien wesentlich früher als in Deutschland hinweggefegt. Den Sieg trugen die Faschisten davon, die unter Führung Mussolinis stehenden »Schwarzhemden«. Es handelte sich um paramilitärische Trupps, für die der politische Mord selbstverständlich war und die gegen alles Linke in der Politik Front machten. Dadurch fanden sie bei den besitzenden Schichten, in der staatlichen Bürokratie und in der Armee das Maß an Unterstützung, das für eine Machtübernahme im Staat unerlässlich war. Der Begriff Faschismus geht auf die altrömischen fasces zurück, die Rutenbündel, die die Liktoren in Rom als Herrschaftszeichen den Amtsträgern in der Öffentlichkeit vorantrugen. Fascio nahm im 19. Jahrhundert die Bedeutung von Bund an und diente unter anderem der revolutionären Arbeiterbewegung als Bezeichnung. Im Ersten Weltkrieg wurde der Begriff von der antiparlamentarischen und nationalistischen Rechten verwandt, schließlich auch von Mussolini, als er im März 1919 seinen fascio di combattimento (Kampfbund) gründete; dieser wurde dann namengebend für die Bewegung des fascismo.
 
Faschismus ist einerseits ein Oberbegriff für verschiedene europäische Varianten dieser politischen Strömung, sodass auch von einer Epoche des Faschismus gesprochen wird. Andererseits bezeichnet der Begriff die spezielle Form des italienischen Faschismus, von dem sich der deutsche Nationalsozialismus in einigen Punkten unterschied. Übereinstimmende Merkmale der europäischen Faschismen waren ihr massenhafter Aktivismus mit klassenübergreifendem Charakter, die Verschmelzung von nationalistischen und sozialistischen Ideen, schließlich das Bekenntnis zu Gewalt und diktatorischer Machtausübung einschließlich imperialer Zielsetzungen und Krieg.
 
 Ministerpräsident Mussolini
 
Als Mussolini 1922 Ministerpräsident wurde, handelte es sich ebenso wenig um eine revolutionäre »Machtergreifung« wie 1933 bei der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Vielmehr muss man von einem Bündnis der alten Eliten in Politik und Armee, in Wirtschaft und Gesellschaft mit der neuen Massenbewegung auf der politischen Rechten sprechen, also von der Bereitschaft zur Beteiligung Mussolinis bzw. Hitlers und ihrer Bewegungen an der politischen Macht. Keinesfalls verbanden die alten Führungsschichten damit die Erwartung, es werde zu einer rein faschistischen oder nationalsozialistischen Diktatur kommen. Man glaubte, die rechtsradikale Massenbewegung durch Einbindung in staatliche Strukturen »zähmen« zu können. Dabei unterschätzte man ihre politische Eigenständigkeit und ihr revolutionäres Potenzial.
 
Mussolinis Ernennung zum Ministerpräsidenten einer Regierung, der vier Faschisten und zehn Repräsentanten des rechten Spektrums angehörten, hing einerseits mit dem »Marsch auf Rom« zusammen, den die Faschisten am 28. Oktober 1922 von Neapel aus gestartet hatten. Andererseits muss man sehen, dass Mussolini selbst gar nicht daran teilnahm, sondern im Schlafwagen von Mailand nach Rom reiste, um von König Viktor Emanuel III. zum Regierungschef ernannt zu werden. Die faschistische Mobilisierung war zweifellos ein gewichtiger Faktor. Hinzutreten musste aber die Kooperationswilligkeit der traditionellen Eliten — ein Muster, das sich in Deutschland 1933 exakt wiederholte. Die Faschisten freilich feierten den Sieg ihrer Bewegung nicht weniger als später die Nationalsozialisten in Deutschland, die Hitlers Ernennung derart wirkungsvoll zur »Machtergreifung« stilisierten, dass der Begriff bis heute gängig ist.
 
 Mussolinis Herrschaft
 
Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme durch Mussolini verstand man unter der Bezeichnung Partito Nazionale Fascista noch nicht die spätere Einheitspartei, sondern eine Bewegung mit regionalen Schwerpunkten. Ebenso trug der italienische Staat noch herkömmliche Züge, bevor die Regimephase des Faschismus Ende der Zwanzigerjahre erreicht war, in der Partei und Staat verschmolzen waren. Eine wichtige Etappe auf diesem Weg waren die Wahlen 1924, die den Faschisten nach der Einführung eines neuen Wahlgesetzes 365 Mandate brachten. Ihnen standen 147 Abgeordnete anderer Parteien gegenüber. Die Sozialistische Partei, die 1919 noch 34,3 Prozent der Stimmen errungen hatte, war zu diesem Zeitpunkt in drei Parteien zerfallen und politisch entsprechend geschwächt. 1921 hatte sich der linke Flügel als Kommunistische Partei selbstständig gemacht. 1922 spaltete sich auch der rechte Flügel ab, der als Vereinigte Sozialistische Partei nicht die Systemopposition betonen wollte, sondern die Verteidigung des bürgerlichen Rechtsstaats in den Mittelpunkt stellte. Die beiden sozialistischen Parteien zusammen kamen 1924 nur noch auf 10,8 Prozent der Stimmen.
 
Das Ende nicht nur der Sozialisten, sondern aller Parteien bahnte sich an, als der Rechtssozialist Giacomo Matteotti, der die Manipulation der Wahlen und die Einschüchterung durch die faschistischen Milizen angeprangert hatte, im Juni 1924 entführt und ermordet wurde. Mussolini nutzte die sich anschließende Krise, die Opposition mit gewaltsamen Mitteln zu bedrohen sowie Anfang Januar 1925 staatsstreichartig weitere Befugnisse an sich zu reißen und Repressionsmaßnahmen — Auflösung antifaschistischer Organisationen und Zeitungen — durchzuführen. In solcherart gestärkter Stellung übernahm er die »Verantwortung für alles, was geschehen ist. Wenn der Faschismus eine Vereinigung von Rechtsbrechern ist, bin ich der Chef dieser Vereinigung von Rechtsbrechern.« Darüber hinaus gelang es Mussolini, seine eigene Partei auf das charismatische Führerprinzip auszurichten und sich zum Duce del Fascismo zu erheben. Begleitet wurde dies mit außenpolitischen Kraftsprüchen, die in ihrer Mischung aus Aggressivität und Werbung um Zustimmung die Bevölkerung beeindrucken und hinter ihren Retter scharen sollten. Anfang November 1925 rief Mussolini zu Kriegsbereitschaft auf und forderte ein »mächtiges Heer«, eine »starke Flotte« und eine »Luftwaffe, die den Himmel beherrscht«. Nicht zuletzt brauche Italien »in allen Schichten des Volkes« einen »Geist, der zu Opfern bereit ist«.
 
Bis Ende 1926 war der Ausbau der faschistischen Diktatur abgeschlossen. Wahlen wurden zu Plebisziten, aus denen der Einparteienstaat mit hohen Zustimmungsraten, die 1929 89,9 Prozent und 1934 96,5 Prozent betrugen, seine Legitimation bezog. Bemerkenswert am italienischen Faschismus ist, dass der totale Machtanspruch des Systems nicht so konsequent umgesetzt wurde wie im nationalsozialistischen Deutschland oder in der stalinistischen Sowjetunion. Die Monarchie blieb in Italien ebenso erhalten wie die relativ starke Stellung des Militärs. Auch die nach wie vor wichtige Rolle der Kirche deutete auf das Weiterleben traditioneller Elemente im Rahmen der faschistischen Diktatur hin. Die Lateranverträge mit dem Heiligen Stuhl 1929 trugen zur Stabilisierung des Regimes maßgeblich bei.
 
 Gewalt und Kriegsbereitschaft
 
Die Gewalt in der Innenpolitik hatte ihre Entsprechung in der Machtpolitik nach außen, mit der an das römische Weltreich angeknüpft werden sollte. Der gesamte Mittelmeerraum wurde zum italienischen Interessengebiet erklärt, was Italien mit Frankreich, aber auch mit Großbritannien in Konflikt brachte. Dasselbe galt für Südosteuropa. Vorerst waren Mussolinis Ambitionen allerdings enge Grenzen gesetzt. Der misslungene Versuch, Korfu zu besetzen, wurde 1923 durch den Beginn einer systematischen Italienisierung Südtirols ausgeglichen. Das symbolträchtige Fiume fiel 1924 gegen eine definitive Grenzregelung für Jugoslawien an Italien. Bis 1928 wurde Libyen wieder unter italienische Kontrolle gebracht. Äthiopien wurde vertraglich eng an Italien gebunden, konnte aber zunächst einmal seine Unabhängigkeit bewahren. Dass es nicht zu größeren kriegerischen Aktionen kam, hing mit den begrenzten Machtmitteln Italiens zusammen. Prinzipiell aber wurde Krieg als konstitutiv für das politische Leben betrachtet. Militarisierung des Lebens und Krieg waren ungeachtet unterschiedlicher außenpolitischer Zielsetzungen verbindende Merkmale aller Faschismen. Der Faschismus, so Mussolini, fasse »das Leben als Kampf auf«. Dies gelte für »den Einzelnen, für die Nation, für die Menschheit«. »Vor allem glaubt der Faschismus nicht an die Möglichkeit und den Nutzen ewigen Friedens. Er weist deshalb den Pazifismus von sich, der Feigheit und Verzicht auf Kampf bedeutet. Nur der Krieg bringt alle menschlichen Energien zur Anspannung und drückt den Völkern, die die Tugend haben, dem Krieg ins Gesicht zu sehen, das Siegel des Adels auf.« Bei Hitler klang es ähnlich. Für ihn war Krieg das »Natürlichste, Allertäglichste. Krieg ist immer, Krieg ist überall. Es gibt keinen Beginn, es gibt keinen Friedensschluss. Krieg ist Leben, Krieg ist jedes Ringen, Krieg ist Urzustand.« Jede Generation müsse »einmal einen Krieg mitgemacht haben«. In seiner Zielsetzung aber war Hitler der Radikalere, indem er zum Streben nach »Weltherrschaft« aufrief. »Nur wer dieses letzte Ziel im Auge behält, gerät auf den richtigen Weg.«
 
Prof. Dr. Gottfried Niedhart
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Achse Berlin-Rom: Partnerschaft von Hitler und Mussolini
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Italien: Zwischen Cavour und Garibaldi
 
 
Blinkhorn, Martin: Mussolini und das faschistische Italien. Aus dem Englischen. Mainz 1994.
 De Grand, Alexander J.: Fascist Italy and Nazi Germany. The »fascist« style of rule. London u. a. 1995.
 Lill, Rudolf: Geschichte Italiens in der Neuzeit. Darmstadt 41988. Nachdruck Darmstadt 1994.
 Mantelli, Bruno: Kurze Geschichte des italienischen Faschismus. Aus dem Italienischen. Berlin 1998.
 Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche. Action française, italienischer Faschismus, Nationalsozialismus. Taschenbuchausgabe München u. a. 41995.

Universal-Lexikon. 2012.

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